Leseprobe |
Im rauchigen Nebel kann ich unmöglich ihre Gesichter erkennen, ich versuche einfach, in diesem dumpfen Lärm in meine piepsige Stimme möglichst viel Kraft und Ausdruck zu legen und stelle die Frage: »Verzeihung, wo kann ich eine Leiste kaufen? Zweieinhalb Meter lang, zwei Zentimeter breit«, und, um überzeugender zu wirken, füge ich hinzu: »aus Mahagoni«. Eine ganze Weile flattert meine Frage orientierungslos durch die männliche Stille. Die Deve stellen ihre Gespräche ein und mustern mich grimmig, prüfend. Dann lassen sie von mir ab, und allein ein grauhaariger, ausgemergelter Dev nimmt meine Frage auf; er besitzt nur noch einen Zahn und trägt einen dunkelblauen, über und über mit Sägemehl bedeckten Mantel, selbst an seinen Augenbrauen klebt das Sägemehl. »Wozu brauchen Sie die?« fragt er mich.
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Presse |
Fünf starke Geschichten aus dem heutigen Georgien: In der Titelerzählung geht es um den jungen Robinzon, der von seinem Bruder um das elterliche Erbe gebracht wird – dieser hat ohne Robinzons Wissen den Hof der verstorbenen Eltern verkauft, um in die USA emigrieren
zu können, denn "die Heimat der Ahnen ist längst aus der Mode", behauptet er. Robinzon hingegen hängt an seiner Heimat und beschließt, in seinem Dorf ein Stück Niemandsland in einen Gemüsegarten zu verwandeln, ungeachtet der politisch brisanten Lage in diesem
unruhigen russisch-georgischen Grenzgebiet. Als 2008 der Kaukasuskrieg ausbricht, baut Robinzon sich einen Unterstand, von dem aus er seinen Gemüsegarten verteidigt – mit fatalen Folgen. Die georgische Autorin (Jahrgang 1957), die u.a. auch als Dramatikerin und Kinderschriftstellerin tätig ist, spürt in ihren Erzählungen den politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen der postsowjetischen Zeit nach, immer auch vor der Folie georgischer Geschichte und Tradition. Sensibel und intensiv zugleich bringt sie uns mit ihren Geschichten die Zeitläufte im heutigen Georgien nah. Empfehlung.
Dorothea Trottenberg, ekz-bibliotheksservice
Die Story von Robinzons bizarrer Beteiligung am Waffengang zwischen Georgien und Russland wird unter dem Titel „Gärtnern im Kriegsgebiet“ auf gerade mal 30 Druckseiten erzählt. So heißt auch die Sammlung von fünf kurzen Erzählungen der georgischen Autorin Tamri Fkhakadze. Dem kleinen Berliner Dağyeli Verlag, der sich auf literarische Übersetzungen aus dem Türkischen und
aus den Sprachen des Kaukasus konzentriert, ist für diese Publikation unbedingt zu danken, denn sie verschafft uns Leserinnen und Lesern seltene Einblicke in eine Übergangsgesellschaft in den beiden Jahrzehnten vor und nach der Jahrtausendwende.
Bei der Lektüre von Tamri Fkhakadzes Texten muss man sich jedes Mal auf einen neuen Erzählansatz einstellen. In „Krieg und Frieden“ lässt man sich auf einen einzigen langen Dialog ein, der zwischen einer Frau und einem Mann, der auf der Einberufungsbehörde arbeitet, geführt wird. Ganz im Gegensatz zum vorherrschenden Rollenverständnis beharrt die Frau darauf, in den Krieg ziehen zu dürfen. Hier verhandelt die Autorin unter anderem Fragen über die Natur des Krieges und über die komplizierte Unterscheidung zwischen Freund und Feind. In „Ich, die Schnecke“ spricht Fkhakadze mit der Stimme eines Tieres. Als Schnecke, die einen Drang zur Freiheit verspürt hat und aus dem ihr zugewiesenen Leben ausgebrochen ist, legt sie eine Beichte gegenüber dem Schöpfer ab. In „Das Feuer des Prometheus“, das natürlich auf die Sage aus dem vorderasiatischen Altertum verweist, erzählt sie die Geschichte eines Wachmannes, der gerade zwei Gegner gleichzeitig bekämpfen muss: einen Blumendieb und das eigene Bewusstsein, unweigerlich älter zu werden.
Wie sehr die Autorin mit dem Rollenverhältnis von Frauen und Männern spielt und dabei mit unverkennbarem Augenzwinkern Veränderungen erträumt, zeigt sich in dem Text „Nugzari, ein Mann Gottes“. Diese unterhaltsamen knapp 20 Seiten spielen in einem riesigen Baumarkt in der georgischen Hauptstadt Tbilissi. Dort trifft eine Käuferin, eine Frau ohne Bezug zum Handwerkern, ausdrücklich nicht auf die befürchtete Arroganz männlicher Verkäufer, sondern auf einen zuvorkommenden, hilfsbereiten Angestellten, den sie beinahe als Gottes Friedensbotschafter begreift. Er nimmt sie an die Hand und geleitet sie durch den Markt, durch diese fremde, labyrinthische Männerwelt. Aus dem feindlichen Terrain wird quasi im Handumdrehen ein märchenhaft-paradisisches Gebilde, an dem sich die konfliktreiche Realität gerne orientieren darf.
»Wir überqueren die Hügel der Schlüssel und Schlösser, das Tal der Wandplatten und Fließen, die Lichtung der Kronleuchter und Wandlampen, den Fluss der Klebstoffe und Farben, schimmen durch das Meer aus Glas und durchqueren die Zement- und Bau-Kalkwüste. (…) Und wer meint, der Basar sei nur ein Basar, der irrt sich gewaltig, denn er ist eine große politisch-geografische Ordnung und ein Commonwealth, (…) in dem unzählige große und kleine Ländern friedlich auf ihrem Territorium, innerhalb ihrer Grenzen existieren, und – nein, nein, nein, nur keine Invasionen und Überfälle, bloß keine Annexionen! Sogar das kleinste, das winzige Bolzenland ruht glücklich
und angstfrui neben der mächtigen Republik der Blocksteine, und auch die großen und hochentwickelten Länder der Heizkörper jagen den Zwergstaaten Zangenland, Feilistan und Spachtelonien keine Angst ein. Selbst die unendlich weite Sandföderation würde nie auf den
Gedanken kommen, das winzige und wunderschöne Glühbirnenland zu bedrängen…«
Auf diese Art und Weise ist über die Frage, ob und wie ein menschliches Miteinander trotz vermeintlich riesiger Unterschiede gelingen kann, bislang sicher noch nicht geschrieben worden.
Thomas Völkner, »Schwarz auf Weiß«, Hamburger Lokalradio, 1. März 2020
»Tamri Pkhakadzes Erzählungen tänzeln gekonnt zwischen schreiender Groteske und feiner Gesellschaftskritik. … Wenn sie schreibt, habe sie kein Geschlecht, gibt Tamri Pchakadze zu Protokoll. Tatsächlich untersucht sie die wankenden Geschlechterrollen innerhalb der georgischen Gesellschaft und auch die Rolle der Frau im Krieg zwar kritisch, aber nie polarisierend. In der Geschichte „Krieg oder Frieden“, die Pchakadze ausdrücklich „den Schriftstellerinnen“ widmet, bittet eine junge Frau um Aufnahme in die Armee, wird aber höflichst abgelehnt, weil sie zu hübsch und außerdem Lyrikerin ist. In der Kurzgeschichte „Ich, die Schnecke“ wagt eine Schnecke sich erstmals aus ihrem Haus und kehrt vor lauter Angst vor der Freiheit schleunigst wieder in ihr Heim zurück. Das kann man als Fabel auf den Freiheitskampf Georgiens oder der georgischen Frauen lesen. … «
Cornelius Wüllenkemper, »Büchermarkt«, Deutschlandradio 17.09.2018
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Übersetzerin |
Iunona Guruli
Geboren am: 29.5.1978
Geburtsort: Tiflis, Georgien
Lebt in: Berlin, Mitte
Ausgangssprache: Georgisch/Deutsch
Zielsprache: Deutsch/Georgisch
Arbeitssprache: Deutsch, Georgisch
Iunona Guruli studierte am Staatlichen Schota-Rustaveli-Institut für Schauspielkunst (1995–96) und an der Staatlichen Ivane Javakhishvili Universität Tbilisi (Fachrichtung: Internationale Journalistik. 1996–99). Seit 1999 lebt sie in Deutschland, wo sie zuerst an der Leibniz Universität Hannover (2000–2004) und später an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (2005–2009) studierte. 2009 erwarb sie den Titel Magister für die Fächer Wissenschaftliche Politik und Neuere und Neueste Geschichte. Außerdem ist sie Staatlich geprüfte Übersetzerin für Deutsch-Georgisch, Georgisch-Deutsch, sowie freiberufliche Literaturübersetzerin. Seit 2015 hat sie 9 Bücher aus dem Georgischen ins Deutsche übersetzt.
Ihr erstes Buch „Die Diagnose“ wurde im Jahr 2015 mit Unterstützung und Finanzierung des Kulturministeriums in Georgien herausgegeben und hat 2016 den nationalen georgischen Literaturpreis Saba für das beste Debüt gewonnen. Im Buch sind 13 Erzählungen enthalten, die teilweise bereits in einigen literarischen Zeitschriften in Georgien und Deutschland gedruckt worden sind. Ihr zweites Buch "Wenn es nur Licht gäbe, bevor es dunkel wird" erschien 2018 bei btb Verlag von Random-House und wurde auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt. 2020 wurde ihr drittes Buch "Mohnfelder" von Corvinus Presse herausgegeben und im gleichen Jahr ebenfalls auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert. Zurzeit arbeitet sie an einem semi-autobiografischen Roman, der bei btb-Verlag erscheinen wird.
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