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Uchqun Nazarov

Uchqun Nazarov wurde am 27. Dezember 1934 in Taschkent geboren. Er wuchs in der Altstadt von Taschkent in einer Intelligenziafamilie auf; der Vater war polyglott und gebildet, die Mutter stammte aus einer angesehenen, städtischen Familie in Osch im kirgisischen Teil des Ferghanatals. Nach seiner Ausbildung zum Kinoregisseur in Moskau und Taschkent begann er 1959 als Regieassistent im Kinostudio »Usbekfilm« und arbeitete später als verantwortlicher Regisseur am Theater Kokand im Ferghanatal. Er drehte Filme wie »Surayya« (1964), »Der Junge und das Mädchen« (1966), »Der Windstoß« (1970), »Die Karawane« (1973) und den hochgelobten Film »Feuriges Ufer« (1975), darüber hinaus Fernsehserien und Dokumentarfilme. Seit 1970 arbeitete er auch mit internationalen Filmemachern und Schauspielern zusammen, unter anderem Souheil Ben-Barka, Claudia Cardinale, Massimo Ghini, Ángelina Molino und Ugo Tognazzi in dem Film »La bataille de los tres reyes« (Der Kampf der drei Könige, 1990).
Die Drehbücher zu fast allen seiner Filme schrieb Nazarov selbst. Seit Anfang der 1960er Jahre veröffentlichte er zudem Romane und Kurzgeschichten in russischer und usbekischer Sprache. Er war Mitglied des sowjetischen Schriftstellerverbands. Die zentralen Figuren in Uchqun Nazarovs Werken sind zumeist Frauen. Sie, ihre Kämpfe gegen gesellschaftliche Zwänge und Moralvorstellungen, ihre Schicksale sind es, die den Autor am meisten interessierten. Bereits in seiner ersten Erzählung »Menschen«, erschienen Anfang der 1960er Jahre, thematisierte er einen Ehebruch aus Sicht der Frau. Trotz negativer Reaktionen, unter anderem von der einzigen Frau im Zentralkomitee Usbekistans, wurde »Menschen« verfilmt. Eine Variation von »Menschen« griff Nazarov in einer seiner letzten, nie veröffentlichten Erzählungen auf: dem Portrait einer Frau, deren Mann als Arbeitsmigrant nach Russland gegangen ist und die sich, als die Zahlungen ausbleiben, prostituiert, weil sie keine andere Möglichkeit mehr sieht, Geld für sich und die Kinder zu verdienen. Uchqun Nazarov war der erste usbekische Schriftsteller, der sich an das politisch heikle Thema der Arbeitsmigration wagte. Das Manuskript des Romans »Das Jahr des Skorpions« wurde bereits in der ausgehenden Sowjetzeit verfasst, die Veröffentlichung allerdings erst nach dem Zerfall der Sowjetunion im unabhängigen Usbekistan möglich. Bereits kurz nach Erscheinen war der Roman vergriffen. Bald jedoch eckte Nazarov auch bei den neuen Machthabern an. Die Mitläufer und Profiteure des Stalinismus zu benennen und die religiöse Bigotterie einer Gesellschaft, in der unter dem Deckmantel der Anständigkeit der Niedertracht und der Unterdrückung der Frauen Tür und Tor geöffnet waren, warf zu viele gegenwärtige Fragen auf. Nach dem »Jahr des Skorpions« konnte der Autor de facto nichts mehr veröffentlichen. In einem Interview mit der »Zeit« im Jahr 2005 beschrieb er die Ablehnung seitens der Redaktion einer Literaturzeitschrift, in der er einen Roman unterbringen wollte. Seine literarischen Figuren hätten sich positiv zum Thema Gesellschaft zu äußern, und er solle die Stellen streichen, die Sexualität behandelten. Der Roman wurde nicht veröffentlicht. »Die Literatur in Usbekistan ist tot«, war seine bittere Schlussfolgerung. Dennoch schrieb er weiter Erzählungen und begann zwei Romane, die die Schicksale von Personen aus dem »Skorpion« weiter verfolgen. Zeitweilig stand Nazarov unter Hausarrest. Als Dissident begriff er sich deshalb aber nicht. Er stritt für die Modernisierung des Landes, wandte sich gegen – wie er es ausdrückte – altertümliche patriarchale Strukturen und eine Religion, die sich lange schon von Gott entfernt hatte und nur noch dazu diente, die Menschen in ihrer Unterdrückung zu halten. Dafür wollte er nicht den messianischen Wurf wagen, sondern den Blick auf auf die Sorgen und Nöte realer Menschen lenken, um Erkenntnis aus dem Mitfühlen zu ziehen. Uchqun Nazarov starb am 17. Juni 2016 in Taschkent.