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»Ein Buch, das scharf nach Orient riecht und schmeckt. Diesen armenischen, aber auf Türkisch geschriebenen Roman hatte ich schon vor einigen Jahren gelesen. Nun erfuhr ich, dass das Buch gerade frisch ins Deutsche übersetzt und herausgebracht worden ist. Das ist sehr erfreulich, denn es gehört zu den wertvollsten literarischen Publikationen zu diesem Thema in türkischer Sprache … Im Roman erkennt man ebenfalls Aspekte der mündlichen Erzählkultur des Orients, die in der langen Tradition der Dorfliteratur ziemlich oft vertreten ist. Der Ich-Erzähler spricht den Leser sogar manchmal so mit Du an, als ob er ihm gerade gegenüber sitzen würde, oder er erzählt im Rahmen einer Dialogszene eine lange Geschichte, in der plötzlich weitere Kurzgeschichten vorkommen. Die langen Beschreibungen von Personen und Orten sind zwar anschaulich, aber oft von Kommentaren des Erzählers durchsetzt. In allen Dialogszenen hat jede Person ihre eigene, authentische Redeweise.
Trotz dieser Elemente von ‚orientalischer‘ Erzählweise findet man im Roman zahlreiche realistische Kommentare der Protagonisten. Insbesondere der Ich-Erzähler reflektiert ständig selbsterlebte Gewalt- und Konfliktsituationen, mit deren Darstellung er zugleich seine Gefühle und Gedanken preisgibt. Immer wieder sind lösungsorientierte, auf das Überleben gerichtete Denk- und Handlungsweisen der Deportierten zu erkennen. Diese Stellen verraten dem Leser etwas über die Erfolgsgeheimnisse derjenigen Armenier, die überlebten.
Dieser Dialog zwischen den zwei Protagonisten markiert ein starkes Ende des Romans. Armenier, die den Völkermord überlebten, suchen sich zwei unterschiedliche Wege aus. Einige entscheiden sich für den Islam und bleiben dort, wo sie ihre Wurzeln haben. Andere verlassen Anatolien und fliehen irgendwohin, wo sie ihre eigene Kultur und Religion weiterhin ausleben können. Dadurch entstehen zwei Lebenswege, die noch 100 Jahre nach dem Völkermord weiterverfolgt werden: einerseits die muslimisierter Armenier in der Türkei, andererseits diejenigen in der armenischen Diaspora. Auf beide Richtungen bezogen kann man sagen, dass künstlerisch begabte Armenier aus der Verarbeitung des Völkermords eine neue Tugend geschaffen haben, deren Kern die Überlebenskunst der Armenier darstellt.«
Songül Kaya-Karadag, www.literaturkritik.de, 01.04.2015
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