Sprich mir vor, Angelina! Fünf Poeme

22,90 


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Fünf Poeme

Aus dem Georgischen von Nana Tchigladze
Nachdichtung von Norbert Hummelt
248 Seiten, Hardcover, illustrierte Ausgabe, 22,90 EUR
ISBN 9783935597920

Description

Besik Kharanauli:
Sprich mir vor, Angelina! Fünf Poeme

Aus dem Georgischen von Nana Tchigladze
Nachdichtung von Norbert Hummelt
Mit einem Nachwort von Norbert Hummelt
248 Seiten, Hardcover, illustrierte Ausgabe
ISBN 9783935597920

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Book Details

Autor

Besik Kharanauli (geb. 1939), gilt als der Nestor der georgischen Lyrik. der tief aus der lyrischen Tradition schöpft, Aufgrund seines Schreibens im freien Vers wurde er mit Walt Whitman und Ezra Pound verglichen. 2015 war er für den Literaturnobelpreis nominiert. Die ausgewählten Poeme erzählen fragmentarisch ein Dichterleben, eingefangen in der Beengtheit von Zeit und Raum und allgegenwärtigen Geboten und Verboten. Der Blick geht zurück in eine unschuldige wie aufsässige Jugend, die ersten sexuellen Erfahrungen, die Suche nach dem eigenen Platz zwischen Dorf und großer Stadt, den Banalitäten des Alltags und der großen Bühne. Die Natur durchbricht wie eine bläkende Kuh die stille Reflexion, der Tod durchschreitet als skurriler Geselle die Szenerie und jeder Ruhm zerfällt zu Staub. In Kharanaulis Dichtung treffen Detailbesessenheit und das Denken in Jahrhundertschritten, subtile Erotik und derber Spott zusammen und machen die Lektüre zu einem lang nachhallenden Erlebnis.

Leseprobe

Jene Bühne gibt es nicht mehr, jene Mauer steht nicht mehr,
die hundertjährige aus Kalk und Stein,
weder den Souffleurkasten, noch auch die Souffleuse.
Nur ferne noch Erinnerungen,
denen eine kleine Scherbe
haushoch überlegen ist,
denn aus noch so süßen Träumen
holt uns die kleinste Wirklichkeitsberührung
augenblicklich rück.

Angelina aber
hat unser Dorf verlassen,
weil ein junger Mann, der das Theater liebte
und berühmt
für Heldenrollen war,
sich mitten auf der Bühne, blind vor Liebe,
den Dolch ins Herz stieß
und sterbend der Souffleuse in die Augen sah.
Die Souffleuse aber
(Wir wollen ihren Namen nicht zu häufig nennen,
damit wir ihn hier nicht zerfetzen,
und außerdem, weil er schon bald
mit Bitternis genannt sein wird),
sie, die das Drama nicht so sehr empfand,
weil doch die Sache mit dem Dolch
in ihrem Textbuch stand,
wenn auch von Blut dort keine Rede war,
sie zog es vor, noch abzuwarten,
weil sie fühlte, dass die Pause
die Mienen rings im Saal erhellte
wie ein Flammenschein.
Doch schleppte sich der Mime, eh der Vorhang fiel,
zum Kasten der Soffleuse,
bot sich dar,
und damit er nun ihr schönes Angesicht
nicht allzu sehr von Leid zerrissen sah,
flehte er sie kläglich an:
Sprich mir vor, Angelina!
Doch weil
die alte Nonchalance
das mondende Gesicht der Frau beschien,
wollte auch er nun nichts mehr anderes sehn,
er schloss die Augen
und war wirklich tot.
So ging uns die Souffleuse ab,
die jahrelang mit Nonchalance
den Stürmen auf der Bühne zusah,
und wenn die Welt dort unterging,
so hätte sie nur höflich nachgefragt,
was los sei.

Presse

»Stilistisch charakterisiert diese Lyrik eine raffiniert kalkulierte Redundanz und ein daraus resultierendes rhapsodisches Element, aber auch eine leise Melancholie über allzu rasch vergangenes Leben, in dem auch Lebensgier und Erotik eine Rolle spielen. Die Fülle der Themen und die Ambivalenz der Stimmungen machen diese Gedichte zu einem kleinen Welttheater, in dem der Blick immer wieder auf Allgemeinmenschliches fällt. Ein bemerkenswerter Band, dem man schon aufgrund seiner kongenialen Nachdichtung breite Beachtung wünscht.«

Manfred Bosch ekz Bibliotheksservice

»Als hätte Kafka seine Erzählung über die Verwandlung des Gregor Samsa in Versen hingeschüttet aufs Papier: Das buchstarke Poem ›Die behinderte Puppe‹ des georgischen Dichters Besik Kharanauli (* 1939) beginnt siebzehn Gesänge vor diesem Zweifel mit argem Zweifel – ›Kümmert es im Grunde jemand, /kommt es überhaupt darauf an,/wie oft man noch erwachen kann?‹ Und wird mit dem den obig zitierten Versen angeschlossenen Wunsch nach der Rückkehr in den mütterlichen Uterus schließen. Dazwischen aufgesprannt, rollen sie dahin, die quälenden Reflexionen über die Liebe, den Sinn des Lebens und die zerknirschten Epiphanien des lyrischen Subjekts. Für die Wende-Generation der georgischen Literatur spielt Kharanauli eine prägende Rolle, waren es doch seine oft mit Walt Whitmans Leaves of Gras verglichenen Langgedichte, wie ›Sprich mir vor, Angelina!‹, die den vers libre zu einem probaten Stilmittel der Wahl etablierten. Und es ist tatsächlich der Fall, dass sich durch diese erzählenden Poeme, die oft eher in Kapitel als in Sequenzen eingeteilt sind, eine lichte Individualität freizusingen scheint, die mehr aus ihrem seelischen Bedürfnis, klar und direkt, als in Reaktion auf soziale Umstände, umständlich und verhuscht, dichtet. … Aber gleichwohl existiert bei Kharanauli kein postmoderner Zynismus, sondern eher ein humorvoller Duktus, darin Heiterkeit und Schwermut, Hebungen und Senkungen eines Silbenmaßes sind.«

Michael Braun und Paul-Henri Campbell, Volltext Nr. 4/2018

Zum Weiterlesen:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/lyrik-aus-georgien-fortgegangen-bin-ich-ohne-rueckfahrkarte.976.de.html?dram:article_id=426924
http://litinfo.ge/vol.5-issue-2/avaliani.htm

Author

Besik Kharanauli

Publisher

Nana Tschigladse,

Norbert Hummelt